Seemannschaft – ein gequälter Begriff.

Es gibt etwas, das ich mittlerweile am Segeln gar nicht mehr mag. Es ist keine Situation, sondern ein Begriff. Genauer gesagt der Umgang mit einem Begriff. Ein Begriff, mit dem sogar ziemlich gemein umgegangen wird. Er wird herumgeworfen wie ein Gummiball und oft so eingesetzt, wie es einem gerade gefällt. Und wenn die Argumente ausgehen. Die Rede ist von der “Seemannschaft”.

Eigentlich ist die Seemannschaft etwas wunderbares. Wikipedia erklärt diesen Begriff wie folgt: Seamanship is the art of operating a ship or boat.

Genau das ist es. Nur wird das oft anders betrachtet. Die “Seemannschaft” wird immer gern von Besserseglern eingesetzt. Segler die wissen, wie es geht. Und es den anderen erklären müssen. Havariert irgendwo eine Yacht, wird das in den Internetforen sofort nach ein paar Beiträgen mit “schlechter Seemannschaft” kommentiert. Ohne zu wissen, wie die Situation an Bord war. Ich hatte schon den Hinweis auf “schlechte Seemannschaft” weil in einem Film die Fender an Deck lagen oder es unter Deck unaufgeräumt war. Hund und lose Leinen im Cockpit kann auch als “schlechte Seemannschaft” dargestellt werden. Streng genommen ist Einhandsegeln immer “schlechte Seemannschaft”, weil es in Schlafphasen des Skippers keine Wache an Deck gibt.

Es gibt in meinen Augen auch keine gute Seemannschaft. Es gibt nur die Seemannschaft. Entweder beherrscht man die Kunst, ein Boot zu führen oder nicht. Die Habecks, die vor Jahren auf einer 21 Fuss Yacht mit ihrem kleinen Sohn rund um die Welt gesegelt sind, wurden häufig angeprangert und scharf kritisiert. Und immer fiel dann der Begriff der “schlechten Seemannschaft.” Ist es aber nicht. Die 3 sind auf einem Boot kaum größer als eine Jolle um die Welt gesegelt. Und heile angekommen. Gut gemacht. Kunst beherrscht.

Segelt jemand ohne nennenswerte Probleme um die Welt, spricht man schnell von guter Seemannschaft. Segelt ein anderer die gleiche Tour und gerät in einem Orkan in Seenot, dann wird von schlechter Seemannschaft gesprochen, weil es ja unverantwortlich war, was er tat.

Wie man diesen Begriff strapazieren kann, erklärt eine Nachricht und ein Forenbeitrag, den ich irgendwo über unsere DIGGER Tour gelesen hab. Als ich in Sæby entschied, nicht weiter gen Norden zu segeln, weil das Wetter so unbeständig war und unser kleines Boot – und vor allem wohl ich – mit dem vielen Durchschnittswind und der Welle an einer Grenze angekommen war. Da schrieb einer irgendwo in irgendeinem Forum: schlechte Seemannschaft, mit einem 18 Fuss Schiff so eine Tour zu machen. Ein anderer schrieb mir: gute Seemannschaft, so eine Entscheidung zu treffen. Na was denn nun?

Wenn man sich an Bord ein Bier nach dem anderen reinpfeffert, dann ist es in meinen Augen keine Schlechte, sondern gar keine Seemannschaft.

Wenn ich dem anderen Schiff frühzeitig anzeige, dass ich abfalle und eine klar erkennbare Kurskorrektur vornehme, um eine Kollision zu vermeiden, dann ist es keine Gute, sondern einfach nur Seemannschaft.

Wenn jemand einen Fehler an Bord macht, ist es keine schlechte Seemannschaft, sondern oft eine wichtige Erfahrung die man braucht, um die Kunst des Bootsführens zu lernen.

Seemannschaft ist immer auch eine Frage der Perspektive. Der Skipper, der sich bei 7 Bft. zu unsicher fühlt und im Hafen bleibt, beherrscht die Seemannschaft genauso gut wie der Andere, der bei diesen Verhältnissen gern rausgeht und zum nächsten Hafen segelt.

Dieser schöne alte Begriff wird zu viel herumgetreten. Ich benutze ihn daher kaum. Was schade ist.

Ich empfehle jedem das Standardwerk, welches in meiner Bordbibliothek unverzichtbar ist. Ein Buch mit dem Namen “Seemannschaft”. (Delius-Klasing, ISBN 978-3-7688-3248-9 EUR: 39,90) Das Buch umfasst alles, was zu der angesprochenen Kunst gehört. Und es gibt keine anderen Ausgaben mit den Adjektiven “gut” und “schlecht”. Einfach nur: Seemannschaft.

9 Gedanken zu “Seemannschaft – ein gequälter Begriff.

  1. Deine Sichtweise, was den viel stapazierten Begriff “Seemanschaft” anbelangt teile ich voll und ganz. Nur im Zusammanhang mit der “Reise” der Habeks muß man diesen Begriff außen vor lassen, den Glück ist gar keine “Seemanschaft”.

    Wilfried

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  2. Danke für diesen Beitrag. Auch ich sehe das so wie Du. Deine Konsequenz ist nur besser. Ich hatte versucht den Begriff aus den Gründen, die Du schön ausgeführt hast, ganz aus meinem Vokabular zu streichen.
    Dein Buchtipp ist Klasse. Ich habe das Buch übrigens doppelt. Vielleicht hat ja jemand Bedarf.

    Grüße
    Uwe

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  3. Noch ein schönes Beispiel: Thies Matzen und Kicki Ericson. Seit einem viertel Jahrhundert auf allen Weltmeeren zu Hause – auf 9 m Holzboot. Den heimischen Bedenkenträgern fällt dazu was ein? Genau. Ohne Heizung in Südgeorgien: “Schlechte Seemannschaft”. Anderen fällt dazu ein, den Beiden die Blue Water Medal des Cruising Club of America sowie den Award of Merit des britischen Ocean Cruising Club zu verleihen. In Deutschland kaum wahrgenommen :(

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  4. Seemannschaft ist irgendwie wie “Erziehung”. Man hat sie oder eben nicht. Erziehung bedeutet nicht, immer mit Messer und Gabel zu essen und grade zu sitzen und nicht in Gegenwart anderer zu pupsen, Erziehung bedeutet aber, dieses Wissen darüber zu besitzen und es situationsgerecht einzusetzen. Situationsgerecht! Seemannschaft ist also Erziehung auf dem Wasser. Man muss was wissen und kann was draus machen.

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  5. Seemannschaft bedeutet zu wissen, dass man den Adenauer hätte einholen sollen ;-)

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  6. PS: Beim Autoreisen, Fahrradtouren, Bergsteigen gibt es keinen vergleichbaren Begriff wie Seemannschaft beim Segeln. Man sollte einfach friedlich segeln gehen können, und etwas Punkrock in sein Leben bringen. Denn Autoreisen, Fahrradtouren, Bergsteigen sind auch Punkrock, wenn’s einem Spaß macht.

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