Müssen Kinofilme korrekt getrimmt sein?

Als ich vor langer Zeit The Sting zum ersten Mal sah, habe ich mich gleich dreifach verliebt: In den Plot, in Paul Newman und in Robert Redford. Vor allem Redford ist seitdem für mich sowas wie ein Heiliger. Jedenfalls wenn er auf der Leinwand zu sehen ist.

Robert Redford ist alt geworden und ich hatte ihn in der letzten Zeit nicht mehr wirklich auf dem Zettel, weil ich mit keinem neuen Film mehr rechnete. Falsch gezettelt – er ist wieder da. Und spielt seinem neuen Streifen All Is Lost sogar auf einer Segelyacht. Natürlich habe ich mir den Film nun auch angesehen.

In den vergangenen Tagen konnte man sich auf den üblichen Segelseiten und in den einschlägigen Foren und Kommentaren einiges zum Film durchlesen. All Is Lost wird von vielen Seglern, Besserseglern und Trimmpäpsten geradezu seziert. Und da hagelte es Kritik. Natürlich. Bei jedem Youtube Video, in dem Achterliek und Niederholer zu sehen sind, dauert es nicht lange, bis über Bauch und Stand, Zug, Holepunkte und Vorspannung diskutiert wird. Und auch bei diesem Kinofilm ist das so: Jeder weiss immer etwas anderes – und fast jeder weiss es auch besser. Da wird über mangelnde Ausrüstung gemault, über fehlende Dinge, schlechte Seemannschaft, üblem Segelstand und so weiter. Angeblich soll es wohl auch anders aussehen, wenn man einen Container rammt. Manche stellen Berechnungen an, wann das Schiff sinken würde, andere schimpfen über die Rettungsinsel. Und überhaupt: Redford ist ja im wahren Leben gar kein Segler. Eine Funklizenz scheint er auch nicht zu besitzen, sonst würde er nicht “SOS” (was jeder Kinogänger versteht) funken, sondern “Mayday” oder “Pan Pan” (was kein Kinogänger versteht). Auch kann man sich fragen, ob er zum Laminieren des Lecks überhaupt das richtige Epoxi benutzt (West Systems, immerhin!) und ob das Härter-Harzgemisch stimmt.

Man beherzige alle diese Kritiken und setze sie um – was kommt dabei heraus? Ich versuche mal einen kurzen Plot zu beschreiben:

Segler segelt mit korrekt getrimmten Segeln mit dem Bug in einen Container. Das Schiff nimmt durch das Leck ordentlich Wasser. Segler laminiert das Loch zu. Da er die “gute Seemannschaft beherrscht”, hat er seine Ausrüstung vor Wasserschäden in Sicherheit gebracht und kann seine Fahrt also fortsetzen. Er funkt kurz, dass alles okay ist. Der Film kann an dieser Stelle enden.

Meinetwegen geht er dennoch weiter. Segler segelt in den Sturm, kentert, Mast bricht, er funkt ein “Mayday”. Da er in der Nähe eines Verkehrstrennungsgebietes ist, kommt sofort Hilfe. Von mir aus lernt er auf dem Schiff noch ‘ne Frau kennen. Aber dann ist wirklich Schluß.

So wäre der Film realistisch und der Segler ggf. zufrieden – zumindest mit dem seglerischen Teil des Streifens. Es geht aber in Filmen nicht um Realismus. Es geht um Dramaturgie. Und darunter leidet oft die Logik und der Echtheitsbezug. Weil Logik und Segeltrimm auch nicht wichtig sind. Jedenfalls nicht im Kino. Da ist Segeltrimm egal.

Jeder NASA Mitarbeiter würde sich bei APOLLO 13 kaputt lachen. Echte Indianer bekommen bei Der Mit Dem Wolf Tanzt Bauchweh. KaLeus kriegen sicher Brechreiz, wenn sie Das Boot sehen. Und ich will nicht wissen, was in 100 Jahren echte Piloten von Millenium Falken sagen, wenn sie Han Solo in Star Wars fliegen sehen.

Wenn es um solche Dinge gehen würde, gäbe es nur noch Dokus und eventuell auch mal harmlose Liebesfilme. Darum geht es aber nicht. Ich denke, man sollte so einen Film anders betrachten. Er ist kein Blauwasserseminar.

Mein Eindruck von All Is Lost? Großartig! Was für ein Gefühlsgemenge! Einerseits durchaus spannend und in Anbetracht aller auftretenden Probleme des Skippers auch zermürbend. Andererseits wohltuend langsam, sehr detailliert und ungewöhnlich ruhig. Man erfährt nicht einmal den Namen des Skippers und man fragt sich die ganze Zeit, wann er mal endlich flucht, wieso er so besonnen und ruhig agiert. (Bis er mit einem langgezogenen “Fuuuuuuuuck” den einzigen “Dialog” los wird.) Der Segeltrimm war mir egal. Einzig eine doppelt genutzte Szene (wenn die Fock an der Kamera vorbei wischt) fand ich etwas billig. Weil sie zwei mal exakt gleich reingeschnitten wurde. Ansonsten stören mich weder Aufprallwinkel vom Container noch falsch einsteigende Wellen, weder komische Treibanker noch fehlende Ausrüstung. In Kinofilmen müssen die Segel nicht zwangsläufig richtig getrimmt sein. Wichtiger ist, dass in der Timeline die Clips ordentlich getrimmt werden, und das ist hier zweifelsohne der Fall.

Ich habe seit The Straight Story von David Lynch nicht mehr so einen schön langsamen und ruhigen Film gesehen. Tat mal wieder gut.

Sollte unter den Lesern dieses Blogs ein echter Hobbit sein, würde mich mal interessieren, was der zu Der Herr Der Ringe sagt. Vielleicht kommentiert er ja hier.

 

26 Gedanken zu “Müssen Kinofilme korrekt getrimmt sein?

  1. HAb ihn auch gesehen und bin da Deiner Meinung. Zumindest versucht der Regisseur es so realistisch zu wirken, wie es nur geht. Ich nehme an, dass all die nörgelnden Profis schon solche Situationen er- und vor allem überlebt haben. Ich weiß nicht, wer alles so vor sich hinkotzen würde, wenn er Tagelang in einer Gummiinsel sitzen würde :-) . Gruß

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  2. “Das Boot” ist ja von Beteiligten geschrieben (sogar der Kapitän des echten Bootes war einbezogen), darüber wurde eigentlich nicht gelacht. Die Geschichte ist natürich dennoch reine Fiktion. Auch bei Apollo 13 wurde nur erkennbar begründet von technisch-organisatorischen “Wahrheiten” abgewichen. Insofern kann man sich schon fragen, warum bei “All is lost” so viel darüber gesprochen wird, ob das überhaupt so hätte stattfinden können. Denn von Beginn an unglaubwürdig (oder phantastisch wie Herr der Ringe oder Star Wars) sollte der Film sicher nicht wirken.
    Dass es auch um Fehler, Wissen und Wollen und vermeintliche Gewissenheiten geht ist offensichtlich. Wer sich einmal die ganzen Augenzeugenberichte und Reports zum Fastnet Race 1979 durchgelesen hat hier vielleicht auch einen anderen Bick.
    Insofern hält der Film der seglerischen Kritik zugleich auch einen Spiegel vor. Besonders wenn man bedenkt, dass Figur und Darsteller ja fast 80 Jahre sind. In dem Alter steuern Segler üblicherweise Verdränger oder Rollstühle.

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  3. Sehr schoenes Resumee, im Grunde sah ichs genauso, vor allem, weil mir viele
    Dinge genau so, genau dort so passiert sind. Gottseidank nicht havariert .

    Gruesse
    Giovanni

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  4. Stepan, Du hast es mal wieder auf den Punkt gebracht! Medienleute achten wohl eher auf die Kraft der Bilder und der Geschichten. Segler, schauen natürlich auf die semännischen Details, denn davon hängt ja beim Segeln ihr Leben ab.Somit ist diese Sicht auf diesen Film auch verständlich. Der Film ist sicherlich sehr sehenswert, jedenfalls machen die ersten Szaenen, die man sehen konnte, Lust auf mehr. Also liebe Segler, einfach mal über “Regiefehler” hinwegsehen. Schließlich zeigt der Film auch, wie fit man sein muss, um ein Segelboot zu beherrschen. Und das die wahren Helden die Skipper sind :) .

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  5. Klugsch… gilt in gewissen Köpfen glaub ich auch schon als “gute Seemannschaft”. Ist die eigentlich angeboren oder kriegt man die erst nach 45 Jahren korrekt Auftuchen? Ich denke schaudernd an die Alt-Herren-Combos, die zweimal im Jahr segeln, aber eigentlich nicht mal mehr Rollator fahren sollten … Ich seh’ lieber einen “unrealistischen” Film, als dass ich mit Kuno und Bruno als Skipper segeln gehe … wie dem auch sei … Feiner Artikel! Kompliment!

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  6. “Seemannschaft. Ist die eigentlich angeboren oder kriegt man die erst nach 45 Jahren korrekt Auftuchen?”

    Ha ha ha. Herrlich!

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  7. Also ich stimme dir zu Digger. Wobei mir bei dem Film auch der Gedanke gekommen ist; wer guckt den noch, außer Segelinteressierte oder Segler. Wenn da die Kernzielgruppe liegt, kann man sich schon Mühe geben bei den Details….Aber das weiß ich nicht so genau :-) Von meinen nicht Segler-Freunden wollte den Film auf jeden Fall niemand sehen :-( und für mich gilt: wenn es um Unterhaltung und phantastische Bilder geht, ziehe ich Life of Pie vor

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    • Wenn der Film für Segler gemacht worden wäre, hätten die niemals auch nur annähernd 8,5 Mio. Budget bekommen. Das recoopt sich niemals. Der Film ist für ein breites Publikum gedacht. Und die Geschichte als Märchen und Metapher zu sehen.

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  8. tut mir leid – komplett anderer Meinung! Ich fands unerträglich. Wenn man für so einen Film schon Redfort bekommt, hätte man echt einen Hauch mehr recherchieren und realistischer sein können.

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  9. ich fand den Film auch eher für Segelinteressierte gemacht und dafür waren einfach zu viele Dinge, die mich gestört haben.

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  10. Hej Stefan, du hast natürlich Recht. Aber du demonstrierst gleich sehr schön, wie eben Prioritäten bei jedem anders liegen. Ob eine Szene zweimal reingeschnitten wurde, überhaupt die Schnitt-Methodik und die Clip-Timeline…. solche Dinge fallen mir nicht auf und würden in meiner Film-Kritik nie auftauchen :)
    Ansonsten sind wahrscheinlich alle Segler einfach auch heimlich ein bisschen happy, dass sie ihre Themen und ihr Wissen einmal ein bisschen unter die Allgemeinheit bringen können. Das ist ja nur menschlich.
    (Ich habe den Film übrigens noch nicht gesehen, werde es aber noch tun)

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  11. Hätte ich den Blog gleich entdeckt, dann hätte ich mir woanders einige Zeilen sparen können. Gut geschrieben.

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  12. Hallo stefan. Sehr gut geschrieben. Zu deinem plot vlt noch: der segler hätte das vtg natürlich mit kielrichtung im rechten winkel zur fahrtachse gequert und dabei alle reparatur fachmannisch durchgeführt ;-)
    Ja die leute die in solchen fällen alles besser wissen schreien auch nach einem hafen alle paar für ihre kaffeefahrten. (Thema darßer ort) und kennen vieles wohl eher aus der super ausgestatteten bordbibliothek…

    Ich denke auch es sollte jeder bei sich selbst anfangen

    Die im hafen stehen wissen und können bekanntlich ja auch immer alles besser als der skipper der gerade reinkommt..

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  13. Es ist unverschämt, wie im “Herr der Ringe” unsere Füße dargestellt werden. Eine Beleidigung. Unsere Füße sind die die wunder- wunderschönsten der Welt!
    Gez. ein Hobbit. ;-)

    Nee, nee. All is lost ist nicht speziell für Segler gemacht.
    Der ist mystisch. Metaphorisch. Leben nach dem Tod. Wiederauferstehung. Alles mögliche. Sogar der “Ring of fire”, die brennende Rettungsinsel von unten, war metaphorisch. Typischer Winterfilm für alle Sorten von Grüblern. Zufällig auf nem Segelboot gedreht.

    Aber das Geilste: beim Durchkentern taucht er von unten auf das koppheister liegende Cockpit zu.
    Greift die Reling.
    Und in dem Moment dreht sich das Boot weiter und plöpp… Sitzt er auf der Cockpitbank.
    Yeah. ;-)

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  14. …es war mir als Erdumseglerin ein Genuss dieses Statement zu lesen. Kompliment!

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  15. Jo, Zustimmung! Wer hat das nicht schon mal erlebt. Nachmittags auf der Ostsee segelst du hoch am Wind und plötzlich überholt Dich ein Container ne halbe Kabellänge querab in Lee. Und du denkst nur noch: Puh, das ging ja gerade noch mal gut….

    Ich werde mir den Film jedenfalls nicht antun. Soll ja sehr langatmig sein. Dafür bin ich einfach schon zu alt.

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    • Och.. Container sind schon ein ziemliches Problem.

      Der Film “soll langatmig sein”? Wer sagt das? Und – hat er recht? Wie oft kommt es vor, dass jemand etwas schlecht findet, das Du magst. Sowas findet man nur raus, wenn man sich ein Bild davon macht.

      Ich finde den Film nicht langatmig. Er hat gewollte Längen Er ist sehr schön langsam.

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      • das liegt ebenso im Auge des Betrachters und ob er so bezeichnet wird, dass er Längen hat oder Langatmig ist, macht auch nicht den großen Unterschied- so lange geht er glaub ich gar nicht (70min??)

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        • 106 Minuten.

          Länge hat aber nichts mit Zeit zu tun. Manche Filme werden nach 10 Minuten schon lang. Andere (z..B. Der Pate) sind mit 3 Stunden zu kurz

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  16. Der Film hat mit Wasser und unserem Hobby zu tun, Reingehen, Besserwissermodus ausschalten, entspannen, Film genießen! Ist Hollywood, keine Doku. Ich werde reingehen, wenn er dann mal bei uns in der Provinz anläuft!

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  17. so, jetzt gebe ich auch mal meinen senf dazu. besser hätt` ich es nicht schreiben können ,-). diese ewige “besserseglerei” geht mir auch verschärft auf die klöten. beste grüsse guido

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