Rückblick, Teil 3. Winschlos Glücklich.

Erinnerungen an den perfekten Tag 2013.

Zwei Finger an der Pinne. Die Schot liegt neben mir. Brauche ich grad nicht. Die Sonne knallt aufs weiße Boot. Nur ein paar kleine Wolken machen sich auf den Weg nach Osten. Der Wind kommt aus 90 Grad mit 3 Beaufort. Keine Welle. Polly liegt unter Deck und schläft – noch kaputt vom Schwimmen im Meer nach dem Frühstück. Körperpflege in der Ostsee. Die „Kings of Convenience“ ertönen unter Deck.

Hinter mir versucht der Eigner einer 30 Fuß+ Yacht krampfhaft, mit mir mitzuhalten. Er winscht wie verrückt an Genua und Groß und schaut immer wieder in seine Trimmfäden. Und wird immer kleiner, während ich bis 7 Knoten Fahrt mache. Mit zwei Fingern an der Pinne. Ich winsche nicht. Ich habe keine Winsch. Ich bin winschlos glücklich.

Ein holländischer Traditionssegler kommt mir entgegen. Leute grüßen winkend. Sonst ist kaum jemand unterwegs. Ich höre die Gaffel des alten Seglers knarzen. Im vorbeifahren werfen seine weinroten Tücher kurz Schatten auf mich.

Dann höre ich neben mir das „PPPFFFFFTTTT“ eines Schweinswales, der mich ein Stück begleitet und mir zuflüstert: „Hallo lieber Stephan – was für ein perfekter Tag heute, oder?“ Er lächelt mich an, ich winke zurück.

Mein Handy liegt ausgeschaltet unter Deck. Ich brauche es nicht. Ich sitze auf der hohen Kante, noch immer nur mit zwei Fingern an der Pinne. Die Sonne ist heiß, der Wind hält mich kühl. Ich habe Gänsehaut. Der Grund ist nicht etwa Wind oder Temperaturen – der Grund ist in meinem Kopf. Und ich rieche die Sonnencreme.

An der Tonne luve ich 30 Grad an. DIGGER legt sich leicht auf die Seite und zieht uns weiter nach vorn. Ich hole Fock und Groß dichter und setzte mich wieder in die Position, die ich schon seit Stunden habe. Wie ein Vogel, der sich wieder gemütlich in sein Nest setzt.

Der Apfelmost/Wasser-Mix aus der Kühlbox ist eiskalt. Wassertropfen laufen an der Flasche runter. Welcher Monat ist eigentlich?

Wenn dieser Tag eine Postkarte wäre, würde ich sie nicht kaufen – zu kitschig.

Ich fahre eine Wende. Drücke die Pinne weg, hole entspannt die Fock über, setze mich ruhig in die gleiche Position auf der anderen Seite. Die Sonne funkelt durch das schwarze Großsegel.

Seit Wochen bin ich unterwegs. Wochen liegen noch vor mir. Nur noch 11 Seemeilen bis zum Hafen. Ich wünschte, es wären 11.000. 

 

Heute, kurz vor Weihnachten und sechs Monate später habe ich diesen Tag noch immer bei mir. Ich spüre einen Rest Sonne, die Sonnencreme riecht noch. Das Boot neigt sich.

In 94 Tagen ist Frühlingsanfang.

 

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16 Gedanken zu “Rückblick, Teil 3. Winschlos Glücklich.

  1. Eigentlich warte ich jeden Tag darauf, dass Du etwas postest. Aber heute……..

    Mann, Mann, Mann wie soll ich jetzt weiterarbeiten?
    Das geht jetzt jetzt nur noch auf Autopilot, weil ich in Gedanken auf der Ostsee bin! Fernweh……….!!!!!!!!!!!!!

  2. Genau so ist es: Auf der Ostsee oder dem Mittelmeer oder am Edersee, oder …… Dieser eine Tag, den man einen ganzen Winter lang nicht vergißt. Neid? Niemals! Nur Freude, wenn Mitmenschen das auch so empfinden! Ob segler die glücklicheren Menschen sind?
    Mast- und Schotbruch!

  3. In zwei Tagen ist Wintersonnenwende, dann werden die Tage wieder länger und dann kommt das Boot bald ins Wasser… Dann gibt es plötzlich einen dieser wunderbaren Segeltage. Bis dahin… gelassen abwarten und das Kopfkino geniessen.

  4. Beim Lesen von Stephans Kino blendet meine Seglerseele x weitere Filme ein – Imagination im “Winter” ist was Wunderbares: Du spürst den Wind an der Mütze und hörst die Bugwelle, siehst den Hafenmeister auf Troense den Danebrog einholen – und das alles ohne GFK-Palast und ohne riesige Etmale, da reichen 7m und die dänische Südsee ohne Spektakel – das gibt’s im segellosen Leben sowieso genug! Deshalb tapfer dem Frühling 2014 entgegenleben…..

  5. Einfach nur schön…Einfach nur ehrlich…Einfach nur segeln
    Danke für die Geschichte..Danke für die kurze Auszeit jetzt, die Gedanken zurück und die gefühlte Vorfreude

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